In den letzten Jahren hat sich Hygge zu einem globalen Phänomen entwickelt. In weniger als zwei bis drei Jahren ist die Zahl der Social-Media-Posts zu diesem Thema auf relativ wenige bis
Millionen gestiegen. Laut einer Veröffentlichung hatte allein Instagram über 3,5 Millionen Posts in 2019 zu diesem Thema. Amazon vertrieb bereits vor nicht allzu langer Zeit im
englischen Sprachraum bereits 1000 Bücher zum Thema Hygge. Und, das finde ich auch spannend, der Begriff ist in der englischen Sprache so allgegenwärtig geworden, dass
das Oxford Dictionary das Wort im Juni 2017 hinzufügte. Wir könnten uns zu Recht fragen, was das Konzept von Hygge außerhalb Dänemarks so beliebt machte? Und doch, in Gesellschaften, in
denen viel Wert auf Individualismus und Erfolg, gemessen an finanziellen Ressourcen, Statussymbolen, und einer äußeren 'makellosen' Präsenz , liegt es nahe, dass jene, die diesen
Lebensstil nicht leben wollen oder können, von der Hygge-Lebensweise angezogen werden.
Geselligkeit und Geborgenheit statt übermäßigem Konsum
Das dänische Konzept beinhaltet eine besondere Qualität der Geselligkeit, die das sich Zurschaustellen, als auch übermäßigen Konsum und Materialismus ablehnt. Stattdessen pflegt man tiefe Erfahrungen von Geborgenheit, Zufriedenheit und begrüßt die Zusammengehörigkeit. Das gegenseitige Vertrauen wird mehr geschätzt als Konsum. Es wird viel Wert darauf gelegt, sich mit Freunden, der Familie und anderen Menschen , die man mag, zu treffen, um Essen als auch Trinken zu teilen und um gemeinsam zu lachen. +Streitgespräche gehören nicht zu Hygge – etwas, das sich in der heutigen Zeit, wo man den einen mit seiner Meinung übertrumpfen und herabwürdigen möchte, sehr willkommen anfühlt.
Die übermäßige Abhängigkeit von Mobiltelefonen und anderen technischen Geräten wird ebenfalls nicht als Hygge angesehen. Tatsächlich lehnt Hygge den Einsatz moderner Technologie als Vehikel für soziale Interaktion ab und bevorzugt stattdessen die „antiquierte“ Form des persönlichen Gesprächs. Wie schön ist das denn!
Das Zuhause hat eine zentrale Bedeutung von Hygge. Und hier ist weder das Herzeigen von Statussymbolen noch der finanzielle als auch kulturelle Status von Wichtigkeit. Denn es geht eher um das Zuhause als Raum der Sicherheit, Geselligkeit und des Wohlbefindens. In Kulturen, die Wert auf die öffentliche Darstellung der eigenen Person legen, mag das stille, geborgene Zusammensein, im kleinen Kreise der Familie oder mit Freunden, bei sich zu Hause und vielleicht sogar noch mit einer heißen Tasse Kakao oder Tee, seltsam, bis bieder wirken. Denn diese Wirklichkeit gibt es ja auf Instagram oder Facebook nicht. Aber, dieses Konzept hat wahrscheinlich deshalb so viel Aufmerksamkeit erhalten, weil es die Sehnsucht nach echter Nähe, Vertrautheit und Geborgenheit bedient. Denn diese Sehnsucht haben die meisten Menschen, trotz Facebook, Instagram etc.
Woher kommt eigentlich das Wort 'Hygge'?
Obwohl Hygge seit fast 200 Jahren ein wichtiger Bestandteil der dänischen Kultur ist, wird angenommen, dass das Wort aus Norwegen stammt. Bei der Rückverfolgung seiner Etymologie vermuten Experten, dass hygge aus dem altnordischen Wort „hugge“ übersetzt wird, was bedeutet, Trost zu spenden. Der nordische Begriff selbst stammt aus dem Wort hugr – „Stimmung“ – was für den Grund verantwortlich sein könnte, dass Hygge in Grunde eben bedeutet, eine besondere Atmosphäre zu schaffen, die all das hervorruft, was Menschen ein warmes Gefühl gibt, Gemütlichkeit und Geborgenheit ausstrahlt. Es ist üblich, dass Dänen Hygge leben, und wenn sie Freunde, oder Kollegen verabschieden, dann mit dem Wunsch „Hygge haben!“ oder sogar zu bemerken, wie hyggelig etwas ist oder nicht.
Hygge ist nicht Minimalismus
Hygge und Minimalismus beschreiben trotz ihrer vermeintlichen Ähnlichkeit, verschiedene Konzepte. Ihre Ähnlichkeiten liegen in ihrem Mangel an Konsumismus und der Betonung auf Besitztümer, die einen funktionalen oder emotionalen Wert haben oder weil diese dem Leben besondere Schönheit verleihen. Der Minimalismus konzentriert sich jedoch darauf, bestimmte Dinge loszulassen, seien es materielle Besitztümer, finanzielle Reichtümer und sogar Beziehungen.
Menschen leben aus verschiedenen Gründen einen minimalistischen Lebensstil. Zum Beispiel um die Umwelt zu erhalten, um etwas zu schaffen anstatt zu konsumieren, oder um physischen als auch emotionalen Freiraum zu erhalten, der es ihnen dann ermöglicht, mehr in ihrem Leben zu tun und zu empfinden. Eine der wichtigsten minimalistischen Überzeugungen ist, dass es besser ist, sparsam zu leben. Und hier gibt es schon einen wichtigen Unterschied, denn ein sparsames Leben ist für einen Hyggepraktiker eigentlich nicht notwendig, dagegen ein einfaches Leben schon. Diese feine Unterscheidung ist sehr wichtig. Man muss also nicht jeden Cent umdrehen, um Hygge zu praktizieren. Aber man sollte sein Geld weise ausgeben. Weise ist auch der, der sein Geldbeutel, für ein großes Stück Kuchen und eine heiße Schokolade leert, die man zusammen mit der besten Freundin oder mit dem Kumpel zusammen genießt. Und genau darum geht es. Denn solche Momente beschreiben das Alltagsglück. Es geht darum einfache Erlebnisse zu schaffen, und diese ganz bewusst zu erleben und zu genießen. Es geht darum, Unzufriedenheit im Leben zu beseitigen, und den Moment, aber auch das Gefühl von ‚Heimat’ von ‚zu Hause sein’ zu schätzen. Man sieht, es geht hier nicht um materielle Besitztümer, es geht weit darüber hinaus. .
Vielleicht noch zwei weitere Unterschiede zwischen einem der Hygge praktiziert und einem Minimalisten: Ein Minimalist würde sich von seinen vielen, über die Jahre gesammelten Bücher verabschieden. Jemand der Hygge praktiziert, würde seine vollen Bücherregale als Beitrag zu einem geselligen Abend und zur gemütlichen Atmosphäre sehen. Für einen Minimalisten, könnten viele Kerzen, die im Haus aufgestellt werden, als Zeichen des Konsums gesehen werden oder als unnötige Verschwendungssucht. In einem Hygge-Haus verleihen Kerzen einem Raum Wärme und Gemütlichkeit, die man so sehr schätzt.
©Martina M. Schuster
Bildquelle: Canva
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